Spartenübergreifender Abend in Hagen: Oper und Ballett
Purcell: Dido und Aeneas/ Wassermusik, Ballett von Francesco Nappa mit Musik
von Georg Friedrich Händel
Premiere am 18. Mai 2019
Wie schon so oft in Hagen: Großer Beifall und standing ovations für alle Beteiligten am Ende des Abends, fast noch ein bisschen mehr als sonst. Was hatte diesen Abend so rund und erfolgreich werden lassen? Die Antwort: Zweimal dasselbe Thema aus unterschiedlicher Perspektive, und das spartenübergreifend; einmal Oper, einmal Ballett.
Thema war die vom römischen Dichter überlieferte Geschichte von Dido und Aeneas, in der europäischen Kulturgeschichte in vielfachen Facetten immer wieder aufgenommen. Der aus dem zerstörten Troja entkommene Aeneas und Dido, die selbst als Geflüchtete in Karthago Zuflucht gefunden und dort Königin geworden ist, verlieben sich ineinander. Auf Geheiß der Götter muss Aeneas aber Dido verlassen, um Rom zu gründen, woraufhin sich die Königin umbringt.
Den ersten Teil des Abends bildete die Oper „Dido und Aeneas“ von Henry Purcell, inszeniert vom Hagener Intendanten Francis Hüsers. Der hatte die
barocke Oper mit interessanten Akzentuierungen in die Gegenwart geholt. So zeigte er die im Mittelpunkt stehende Dido als „jungfräuliche Witwe“ am Rande des Psychotisch-Depressiven, die fliehen
musste, weil ihr Mann noch vor Vollzug der Ehe in der Hochzeitsnacht ermordet wurde, und deshalb ihr inzwischen schmutziges Brautkleid immer noch trägt. Das bildet einen starken Gegensatz zu
ihrer Umgebung, die in lockerer Badekleidung am Pool sitzt. Auch Aeneas erscheint bei seinem ersten Auftritt, noch nicht singend, in Badehose. Die Bevölkerung Karthagos, vom Chor dargestellt,
kann Dido aber schließlich dazu bewegen ihre Skrupel zu überwinden und sich Aeneas, in den sie sich offenbar verliebt hat, zuzuwenden. Da dies auch für Karthago gut ist, wird dies auch gleich in
einem „Staatsfoto“ mit kräftigem Blitz festgehalten.
Der Hofstaat spielt auch eine Rolle, wenn die beiden bei einer Ruhepause während einer Jagd zum ersten Mal miteinander schlafen, er ist bei dieser kissenbewehrten Staatsaktion nämlich immer
dabei. Deshalb erscheint auch ein blutbeflecktes Bettlaken. Das deutet einerseits auf die Entjungferung hin, ist aber andererseits auch doppeldeutig, weil es einen blutreichen Alptraum des Aeneas
illustriert.
Die tragische Wendung vollzieht sich in Purcells Oper aber nicht durch die Götter, sondern durch eine Zauberin und ihre Hexen (Solistinnen und wieder der Chor), für die grundlose Zerstörung die
größte Lust ist. Ein von ihnen beauftragter Geist befiehlt Aeneas, Dido zu verlassen und nach Italien zu segeln.
Dieser Umschwung wird sehr plausibel dargestellt, am sinnfälligsten durch die außergewöhnlichen und originellen Kostüme (Kaspar Glarner). Der Chor, der Dido zugewandt als Hüter der Staatsraison
im 1. Akt blau gekleidet auftritt, wendet im zweiten seine Gewänder und wird in flammendem Rot zur teuflischen Hexentruppe. Das erinnert an Traum und Halluzination, aber auch ein wenig an die
Wechselhaftigkeit des Menschen. Dies wird auch noch weiter betont: So erscheint die Schwester Didos, Belinda, am Anfang als ihre engste Vertraute, taucht dann als Amor mit Pfeil und Bogen auf,
wird dann aber vollkommen umgedeutet, weil sie schließlich als der Geist auftritt, der Aeneas die Abfahrt befiehlt. Und die Zauberin, die Oberhexe, ist die Fotografin des „Staatsfotos“!
Diese Akzentuierung durch Regie und Kostüme wird auch musikalisch überzeugend umgesetzt. Rodrigo Tomillo bietet im klein besetzten Orchester im halb hochgefahrenen Orchestergraben hohes Niveau
und Chor und Sängern beste Unterstützung. Der hier sehr wichtige Chor überzeugt nicht nur durch präzisen, die jeweilige Situation fokussierenden Gesang, sondern auch durch choreographische
Elemente. Auch die Sängerinnen und Sänger singen ohne Fehl und Tadel, auch in den kleineren Rollen. Genannt seien Veronika Haller herausragend als Dido, Kenneth Mattice als Aeneas, Cristina
Piccard als Belinda und Geist, Marilyn Bennett als Zauberin/Oberhexe. Mir im Gedächtnis bleibt ein toll gesungenes Duett zweier Hexen mit virtuosen Passagen und vielen Fugati (Elizabeth Pilon und
So Hee Kim).
Im zweiten Teil folgte die Wassermusik von Händel, dazu dieselbe Geschichte, aber getanzt vom Hagener Ballett, choreographiert von Francesco Nappa, der schon im ersten Teil für perfekte tänzerische Bewegungen gesorgt hatte. Eine brillante Idee, die Geschichte zweimal zu spielen, aber jeweils vollkommen anders zu akzentuieren. Händels Wassermusik passte für die Geschichte hervorragend, weil sie offen ist für choreographische Gestaltung ist, Stücke unterschiedlichsten Charakters enthält, die deshalb Szenen mit verschiedener Besetzung ermöglichen. Rodrigo Tomillo ließ die Händelsche Musik in den blechbläserbetonten Sätzen regelrecht leuchten, die Charaktere der langsameren und lyrischen Teile wurden aber ebenfalls sehr schön herausgearbeitet (einmal mit einem sehr gelungenen Flötensolo).
Die Geschichte wurde getanzt, also mit dem Körper erzählt. Das war sehr gut nachvollziehbar, weil man die Story aus der vorher gespielten Oper
schon kannte. Es war aber auch sehr deutlich zu erkennen, dass Nappa die Handlung mit neuen Akzenten versehen, allerdings auch genug Platz für eigene Assoziationen jedes einzelnen Zuschauers
gelassen hatte.
Der große Unterschied: er erzählt die Geschichte aus der Perspektive des Aeneas. Wie in der Oper wird Dido am Anfang aufgemuntert, ihre Trauer aufzugeben, Aeneas und zwei seiner Matrosen
erscheinen dann erst (aus dem Orchestergraben!), nehmen Kontakt mit den Menschen in Karthago auf, bevor Dido und Aeneas sich finden und sich im Wasser lieben. Sehr auffällig wieder das Kostüm des
Zauberers: ers erscheint in einem feuerroten Riesenmantel mit großer Kapuze und langer Schleppe, die Platz für mehrere Tänzer bietet, die ihn unterstützen. Am
Ende verlässt Aeneas Dido, die lässt ihn gehen, stirbt nicht, wie in Purcells Version. In Nappas Interpretation: „Dido liebt Aeneas so sehr, dass sie ihn aus Liebe ziehen lässt.“ Passend dazu
fügt er in die Handlung zwei Gedichte von Else Lasker-Schüler ein, eins für Dido, eins für Aeneas.
Das Hagener Ensemble tanzt diese Geschichte äußerst intensiv, mit etlichen akrobatischen Passagen, in den Gruppenteilen absolut synchron, bringt sie in beeindruckender Weise über die Rampe. Aus
dem Ensemble seien Goncalo Martins da Silva als Aeneas, Ana Isabel Casquilho als Dido und Bobby Briscoe als Zauberer genannt. Verdienter großer Beifall, zu dem am Schluss alle Beteiligten des
gesamten Abends auf der Bühne erschienen und sich als Einheit präsentierten.
Fazit: Ein sehr gelungener und empfehlenswerter spartenübergreifender Abend mit zwei Interpretationen derselben Geschichte. Die stehen aber nicht für sich, sondern Verbindungen zwischen beiden Lesarten werden immer wieder deutlich. In Hagen ziehen alle an einem Strang!
Fritz Gerwinn, 20. Mai 2019
Weitere Vorstellungen: 24.5., 30.5., 5.6., 9.6., 14.6., 20.6., 22.6., 27.6., 7.7., 10.7.2019
Einführung jeweils 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn