Julius Caesar, Foto: Bettina Stoess
Julius Caesar, Foto: Bettina Stoess

Dichte Inszenierung, tolle Solisten, exzellentes Orchester
Händels „Julius Caesar“ in den Wuppertaler Riedelhallen
Premiere am 3.10.2021

 

Was für ein Pech! Durch Corona konnten viele fertig geprobte Stücke nicht gespielt werden, lagen auf Halde. Mit der neuen Saison wollte man am Wuppertaler Opernhaus wieder richtig loslegen. Und dann kam das Hochwasser und flutete den Orchestergraben. Bis 2023 soll es dauern, bis alles wieder benutzbar ist. Guter Rat war also teuer. Und Intendant und Management, kreativ und notwendigerweise permanent flexibel, fanden und finden gute Lösungen. Die erste Frucht dieser Kreativarbeit war sehr wohlschmeckend: Händels „Julius Caesar“. Nicht von Immo Karaman für die große Bühne inszeniert (das soll später nachgeholt werden), sondern von Karin Kotzbauer-Bode als Musikinstallation in den Werkstätten der Wuppertaler Bühnen eingerichtet. Fazit vorneweg: voll gelungen.

 

 

Am Betriebsgelände der Firma Riedel an der Uellendahler Straße, die, kulturell hoch interessiert und spendabel, den Bühnen Räume für die Werkstätten zur Verfügung gestellt hat, wird man von einem freundlichen Pförtner empfangen und zu einem Parkplatz geleitet. Nach der G2-Kontrolle geht es durch einen langen Gang. Die Trennung von Künstlern und Publikum ist nur sehr begrenzt möglich. Der Eingang für Solisten und Orchester liegt direkt neben der Eingangstür fürs Publikum, wenn man davor warten muss, kann man die SängerInnen beim Einsingen hören. Nach einem Vorraum kommt man in den eigentlichen Spielort, den großen Malersaal. Die Spielfläche in der Mitte ist aufgelockert durch wenige Podeste und zwei hölzernen Emporen, an deren Aufgang jeweils eine schwarz gekleidete Wache mit Sonnenbrille steht. In den vier Ecken findet das Publikum Platz. Von zweien dieser Ecken kann man Orchester (verdientermaßen im Programm namentlich genannt) und Dirigent so gut sehen, als gehörte man dazu und säße in der letzten Bläserreihe.

 

In der Oper ist der Dirigent bzw. sein Haarschopf und sein gelegentlich aufblitzender Taktstock meist nur von hinten zu sehen. Hier sah man ihn von vorne und konnte seine Arbeit wunderbar verfolgen. Clemens Flick, Spezialist für Alte Musik, dirigierte mit weit ausladenden Bewegungen, bildete die Musik fast körperlich ab, und es war ganz offensichtlich, dass ihm das exzellente Orchester genauestens folgte, ebenso wie Sängerinnen und Sänger, und dies sogar manchmal ohne Sichtkontakt. Er wählte immer die genau passenden Tempi, dirigierte präzise Ritardandi und Fermaten, gab bei den schnelleren Arien ein rasantes Tempo bis fast an die Grenze der Sing- und Spielbarkeit vor, setzte auf fulminante Akzente und hatte seinen Spaß auch an musikalisch-theatralischen Effekten. Zur Musikinstallation gehörte auch, dass Solohornist Oliver Nicolai bei einer Arie von einer der Emporen spielte, die sonst nur den um die Macht kämpfenden Herrschern vorbehalten war. Interessant war auch, dass sich die Auftrittsgeräusche der handelnden Personen immer wieder mit der Musik mischten. Am Schluss verstärkte sich der Beifall deutlich, als Flick nach vorne gerufen wurde und sein Orchester aufstehen ließ.

 

Allen Sängerinnen und Sängern merkte man deutlich die große Freude an, endlich wieder vor Publikum singen zu können. Da stimmte nicht nur jeder Ton, sondern auch jede Geste, jeder Gesichtsausdruck, Gesang und Darstellung waren aus einem Guss, und zwar ohne Ausnahme bei allen. Besonders gut zu merken war das bei Ralitsa Ralinova, die die kapriziöse Cleopatra spielte, jede Gesangsphrase war kongruent mit Gestik und Mimik. Die Entdeckung des Abends war der junge Etienne Walch, Mitglied des Opernstudios NRW und einer der beiden Countertenöre des Abends, der den fiesen, macht- und sexbesessenen Tolomeo, Bruder der Cleopatra, in Gesang und Spiel hinreißend verkörperte. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, nur diese beiden hervorzuheben, denn alle Solisten waren hervorragend: Yosemeh Adjei als einziger Gast spielte und sang die Hauptrolle des Giulio Cesare, Joslyn Rechter die von allen Männern begehrte Witwe des Pompeius, Cornelia, Iris Marie Sojer ihren Sohn Sesto und Sebastian Campione den Intriganten Achilla. Caesars Begleiter Curio wurde von Yisae Choi gespielt, ebenfalls ein Mitglied des Opernstudios NRW, und Mark Bowman-Hester hatte als am Stock gehender Begleiter Cleopatras, Nireno, delikate Momente.

 

Zwischenbeifall gab es nicht, obwohl etliche Gesangsleistungen ihn verdient hätten. Das lag wohl an der dichten und spannungsreichen Regie von Karin Kotzbauer-Bode, die die Ereignisse auf der Bühne so schnell aufeinander folgen ließ, dass einem manchmal der Atem stockte. Das hatte mehrere Gründe. Zuerst einmal wurde die gesamte Fläche der Bühne ausgenutzt, die Solisten agierten an unterschiedlichen Orten, sangen auch manchmal direkt in einen der Publikumsblöcke, wechselten ihre Standorte, benutzten die Podeste, während die Emporen weitgehend den Herrschern vorbehalten waren. Dazu war die Musik geschickt gekürzt, Gegensätze waren auch musikalisch auf den Punkt gebracht. Nur wenige der bei Händel noch üblichen Dacapo-Arien (ABA, der erste Teil wird am Schluss wiederholt) wurden komplett wiedergegeben, ansonsten wurden Teile daraus genommen und mit Teilen anderer verkettet, sodass der Spannungsbogen durch überraschende Wendungen erhöht wurde. So war z.B. das Ende der Ouvertüre der Beginn von Caesars erstem Gesang. Der Ablauf wurde auch dadurch verdichtet, dass schon während einer Arie die nächste Szene vorbereitet oder sogar angefangen wurde. Einmal wurde auch brutal unterbrochen: Caesars und Cleopatras Turtel-Duett durch Curio, der Caesar vor seinen Verschwörern warnt. Bewusst irritierend war auch eine Passage, als zwei Personen auf der Bühne nicht mehr singen, aber eine andere Stimme aus dem Off kommt. Erst etwas später stellt sich heraus, dass dies Sesto ist, der vom Technik-Balkon aus singt.
Schließlich wurden auch die Charaktere der Personen deutlich akzentuiert, wohl auch durch dezente Textaktualisierungen. Beispiel: Tolomeo fordert, dass Frauen vor allem putzen, kochen und lieb sein müssen, wird daraufhin von Cleopatra als „schlaffer Schürzenjäger“ beschimpft. Die sich hier emanzipiert gebende tritt dann aber später als Putzfee auf, um inkognito Caesar zu bezirzen. Später tritt die Brutalität Tolomeos in den Vordergrund, der mit jeder Frau Sex haben will, auch mit seiner Schwester und der ohnmächtigen Cornelia. Und auch bei Caesar wird der Gegensatz von lustvoller Hingabe und Angst vor seinen Dämonen sehr deutlich akzentuiert.

 

Insgesamt hat die Regisseurin fünf Episoden zusammengestellt, jede mit unterschiedlichen Personen, Handlungen und Schauplätzen. Nachvollziehbar, dass sie dabei an eine moderne Soap-Opera gedacht hat und das Stück auch so inszeniert hat. Dass nicht die ganze Oper bis zum Ende gespielt wird und das hier gewählte Ende offenbleibt, passt für diese Aufführung, die ja wegen Corona keine Pause haben darf, sehr gut. Auch in der kompletten Oper wechseln die Machtverhältnisse ständig, und die titelgebende Person kommt keineswegs ständig vor. Zudem liegen aktuelle Bezüge auf der Hand: es geht um Macht, und weit zu sehen braucht man nicht, um festzustellen, dass es heute nicht viel anders zugeht, wenn auch nicht so offensichtlich brutal. Und das Wichtigste: jede Episode ist spannend, der Schluss ziemlich abrupt, so dass man heiß ist auf den nächsten Teil.

 

Zwischen den Episoden las Philippine Pachl Teile aus „Der Fürst“ von Machiavelli vor. Das passte gut, weil es hier wie dort um Macht geht. Machiavelli beschreibt sehr lakonisch die Mittel, die Fürsten anwenden müssen, um Macht zu gewinnen und diese zu behalten, rät ihnen, wie sie einerseits ihre eigenen und eroberte Völker am besten unterdrücken, aber auch, wie sie sie bei Laune halten. Aktueller Bezug: Der Fürst muss die richtigen Maßnahmen ergreifen, um seine Untertanen vor Überschwemmungen zu schützen. Die drei Lesungen konnten durchaus Gedanken provozieren, inwieweit die Mittel, die für Fürsten zur Zeit des Absolutismus gedacht waren, auch heute noch Geltung haben, waren also sinnvoll eingepasst. Nur hätten sie kürzer sein können. Nach einer gewissen Lesungszeit merkte man immer mehr die Härte der Stühle und wartete ungeduldig auf die nächste Episode, bei der man diese Unbequemlichkeit gar nicht mehr wahrnahm.

 

Fazit: Ein toller Abend. Großer Beifall für alle. Die Zahl der Karten ist begrenzt. Unbedingt hingehen!

 

Fritz Gerwinn, 4.10.2021

 

Weitere Aufführungen: 8.10., 9.10., 10.10., 31.10.2021
(Machiavelli-Lesungen durch Jürgen Tonkel, Gudrun Landgrebe, Sascha von Zambelly, Harald Krassnitzer)