Madama Butterfly im theaterhagen
Premiere am 6.6.2015
Volles Haus, obwohl wegen des endlich strahlenden Sommerwetters draußen der Biergarten lockte und in Berlin das Finale der Champions League stattfand. Und es lohnte sich. Mit der letzten Premiere der Saison feierte das theaterhagen wieder einen glänzenden Erfolg, Ergebnis einer engagierten und kompetenten Ensembleleistung mit dem Regie führenden Intendanten an der Spitze.
Norbert Hilchenbach hatte sich auf die Personenführung konzentriert, nur einige Handlungsmomente neu gedeutet (z.B. die Rolle der Suzuki mehr in den Vordergrund gerückt), die Handlung behutsam in die Gegenwart verlegt. Die amerikanische Flagge hat fünfzig Sterne, die Frauen tragen Jeans, benutzen Handys, bewegen die mobilen Wände mit Fernbedienungen und bestellen ihr karges Essen per Pizza-Service. Der Marine-Offizier Pinkerton trägt im ersten Akt Hippiehemd und dazu passendes langes Haar, hat sich im 3. Akt hinsichtlich Frisur und Kleidung aber komplett dem bürgerlichen Leben angepasst (Kostüme Yvonne Forster).
Seine Entwicklung von der freien, für ihn sorglosen Liebe mit der gekauften Frau bis zur feigen Unfähigkeit, Butterfly die Wahrheit zu sagen, wird sehr konsequent deutlich gemacht. Sharpless, der amerikanische Konsul, weist den unerträglich arroganten und von der Führungsstellung seines Landes überzeugten Pinkerton immer wieder auf die möglichen Folgen seines Macho-Verhaltens hin, resigniert aber zusehends und ergibt sich deshalb gegen Schluss der unvermeidlichen Tragödie endgültig der Trunksucht, nachdem er schon vor der Hochzeit Pinkertons mit Butterfly mit diesem kräftig Whisky getankt hatte.
Dem wird die durch nichts zu erschütternde Liebe Butterflys gegenüber gestellt. Dass sie bis zur endgültigen Demütigung am Schluss alle Zeichen der Ablehnung nicht nur nicht wahrnimmt, sondern gegenteilig interpretiert, wird vor allem im 2. Akt besonders deutlich gemacht. Obwohl sie schon im Prekariat angekommen ist und keine Kraft hat, Pizzaschachteln und Müll in ihrer Wohnung aufzuräumen, will sie die Realität nicht mehr wahrnehmen. Dass sie einerseits fast vollkommen in der Vergangenheit lebt, andererseits aber Böses nicht ganz ausschließen kann, zeigt der Inhalt ihres einzig verbliebenen Koffers: ihr Hochzeitsgewand und der schwarze Kimono, den sie zu ihrem Selbstmord anlegt. Ein wichtiges Zeichen für ihr fast verbohrte Treue ist ihr Bettlaken: die amerikanische Flagge.
Diese erscheint auch im 1. Akt oft übergroß und bestimmt dadurch die Bühne. Man kann das durchaus als aktuellen Hinweis auf die Gegenwart sehen: Ist die im Stück dargestellte und von der Regie hervorgehobene amerikanische Arroganz wirklich verschwunden oder wenigstens deutlich kleiner geworden?
Die am Schluss besonders gefeierte Veronika Haller gestaltete ihre Rolle als Butterfly hervorragend, mit sehr schönen Spitzentönen. Dem Sänger des Pinkerton, Richard Furman, gönnte man angesichts der Macken seines dargestellten Charakters fast nicht seine strahlenden Töne in makelloser Phrasierung, und Kenneth Mattice vermittelte glaubhaft den resignierenden Sharpless mit seinem schlank geführten Bariton. Drei kleinere Rolle sind mir besonders in Erinnerung geblieben: Richard von Gemert sang die Rolle des mafiosen Maklerzuhälters Goro entsprechend weniger mit tenoralem Schmelz als zupackender Schärfe; Kristine Larissa Funkhauser als Suzuki (die sich im 1. Akt ebenfalls mit einem amerikanischen Matrosen liiert hatte) setzte sich auch in dramatischen Situationen stimmlich durch, beeindruckte aber vor allem mit ihrer Tiefe. Schließlich kostete Rainer Zaun als Onkel Bonze seinen Auftritt nicht nur mit seiner Stimme voll aus, sondern durfte auch das japanische Gegengewicht zur amerikanischen Übermacht darstellen, indem er Pinkerton mit einer Pistole bedrohte und das Sternenbanner mit Füßen trat.
Erst nach einiger Zeit bemerkt man durch die Reflexe an der Decke eine Delikatesse des Bühnenbildes: Die gesamte Bühne steht handbreit unter Wasser, und erst darüber erhebt sich die geneigte Spielfläche, die sonst nur von der Hinterbühne aus erreicht werden kann.
An entscheidenden Stellen begeben die Protagonisten sich auch ins Wasser, es dient aber auch als Projektionsfläche für viele kleine Papierschiffchen: Erinnerungen an das verschwundene Schiff Pinkertons, Spielzeug für Butterflys Kind, Ersatz für den Blumenschmuck für den vermeintlich Zurückkehrenden, da die im ersten Akt noch blühende Kirsche verdorrt ist. Wichtig sind auch noch die vielfältig eingesetzten beweglichen Wände, die ja tatsächlich charakteristisch für Butterflys Haus sind, hier aber weitergehende Funktionen erfüllen, indem sie z.B. durch bedrohliches Hin- und Herbewegen die Situation vor Butterflys Selbstmord zuspitzen (Bühnenbild Peer Palmowski).
Das Hagener Orchester unter David Marlow zeigte sich in Bestform. Sowohl die dramatischen also auch die lyrischen Aspekte wurden deutlich gemacht, die Sänger dabei aber niemals überdeckt oder allein gelassen. Auch dem weniger geübten Hörer erschlossen sich besonders gut die Stellen, an denen die amerikanische Nationalhymne zitiert, variiert, konterkariert, mit anderen Stimmen gekoppelt erscheint. Der Chor überzeugt im 1. Akt als erweiterte Familie durch punktgenau synchronisiertes Singen und Spielen, lässt den „Mond“-Chor am Ende des 2. Aktes wunderbar zart als idyllischen Ruhepunkt erklingen. Hier – wie auch an etlichen anderen Stellen – verstärkt die Lichtregie (Ernst Schießl) in fast magischer Weise die musikalischen und darstellerischen Effekte.
Insgesamt eine sehr sehens- und hörenswerte Aufführung mit berechtigten standing ovations am Schluss. Gut, dass die Inszenierung auch in der nächsten Saison wiederaufgenommen wird!
Fritz Gerwinn, 8.6.2015
Musikalische Leitung David Marlow
Inszenierung Norbert Hilchenbach
Bühnenbild Peer Palmowski
Kostüme Yvonne Forster
Licht Ernst Schießl
Chor Wolfgang Müller-Salow
Weitere Aufführungen
Wiederaufnahme: 7.11., 22.11., 12.12.2015;
10.1., 24.1., 12.2., 31.3.,2016