Hagen

 

THEATERHAGEN DON QUICHOTTE

Oper von Jules Massenet

 

(Premiere am 26.4.14),

besuchte Vorstellung am 2.5.14)

 

Poetische Regie, farbenreiches Orchester, brillantes Ensemble

 

Die Bühne ist in tiefblaues Licht getaucht, wenn man das Parkett betritt. Das bedeutet etwas: Kurz vor seinem Tod, in der letzten Szene schwärmt Don Quichotte vom tiefblauen Meer bei der Insel, die er Sancho Pansa versprochen hat. Auch das seltsame weiße Priestergewand, das Don Quichotte trägt, wird erklärt: Apostelgewand wird es von Sancho Pansa genannt und Quichotte mit Jesus verglichen. Aber keine Angst: keine abgehobene, nur todernste Geschichte wird erzählt, sondern auch die komischen Elemente des Stücks werden bravourös ausgespielt, aber dass es Idealisten wie Don Quichotte schwer haben, wird schon deutlich. Dazu hat sich der Regisseur der Hagener Aufführung, Gregor Horres, ganz viel einfallen lassen, Lustiges, aber auch Tiefgehendes. Und das Hagener konnte ganz viel damit anfangen und hat, in Zusammenarbeit mit dem exzellent spielenden Orchester eine sehenswerte Aufführung zustande gebracht.

 

Einen genialen Einfall hatte Susann Sonnenberg, für die Theaterplastik zuständig, bei Rosinante, Quichottes Pferd, und Sancho Pansas Esel: Rosinante ist aus ganz vielen Rädern, Stangen und anderen Metallteilen zusammengesetzt, in der Art von Jean Tinguely, bewegt sich wie ein echtes Pferd, muss aber wie ein Auto gepflegt und geschmiert werden und wird sogar mit Bier getränkt. Dieses hat Sancho Pansa immer dabei: sein Tier ist ein Einkaufswagen mit Eselskopf, in den so einiges hineinpasst.

 

Die Geschichte ist schnell zusammengefasst: Quichotte will Dulcinea heiraten, die hier als Edelhure aber Teil einer Spaßgesellschaft ist; sie macht ihre Zustimmung aber davon abhängig, dass er ihr ein von Räubern gestohlenes Collier zurückbringt. Die beiden Männer gehen diese eigentlich unlösbare Aufgabe an, kämpfen auf dem Weg vergeblich gegen die Windmühlen, und ihnen gelingt es tatsächlich, das Collier zu erringen. Trotzdem lehnt Dulcinea Quichottes erneuten Heiratsantrag ab. Dieser ist davon so getroffen, dass er stirbt.

 

Die Spaßgesellschaft trägt blauweiße Kleidung und hochgetürmte Frisuren (Kostüme Yvonne Forster), das unablässige Amusement findet in einer Art Industrielandschaft mit Rädern statt, in der offenbar alles, auch der Spaß, nach Plan funktionieren muss (Bühnenbild Jan Bammes). Gesteuert wird diese Gesellschaft von den vier Liebhabern Dulcineas und dem Räuberhauptmann, der zu Beginn seltsamerweise im Rollstuhl sitzt. Dulcinea ist wichtig, kann aber notfalls ausgetauscht werden und wird auch als Opfer benutzt. Sie alle spielen Theater, um Don Quichotte zu düpieren und lächerlich zu machen. Deutlich wird das z.B. beim Kampf mit den Windmühlen, als zwei der Liebhaber die zu Industriezahnrädern umgedeuteten Windmühlenräder drehen, und auf eins davon ist Dulcinea gebunden. Dann besteht die Räuberbande wieder aus der Spaßgesellschaft, die Don Quichotte sogar gönnerhaft das Collier überreicht, im Wissen, dass Dulcinea auch dann nicht seinen Antrag annehmen wird.

 

Richtig spannend wird es nach der Pause, in der 4. Szene: Als Dulcinea am Anfang melancholisch über ihr Leben nachdenkt, bekommt sofort eine neue Frau, Pepita, die Accessoires Ihres Edelhurendaseins angezogen, ein Korsett und eine Perücke. Damit erfüllt sie die Normen dieser Spaßgesellschaft, wird aber sofort wieder ausgetauscht, als Dulcinea sich die beiden Symbole wieder anzieht, sich also wieder den Normen „ihrer“ Gruppe unterwirft und sich dann sogar einem der vier um sie werbenden Liebhaber endlich hingibt. Sie entspricht diesem Bild auch noch, als sie die erneute Werbung Quichotte wieder ablehnt, obwohl er ihr das Collier zurückgegeben hat. Zuerst lacht sie ihn rollenkonform aus, erschrickt dann aber doch bei Don Quichottes Reaktion und wandelt sich danach so vollkommen, dass hier ein echtes Liebesduett entsteht. Dulcinea legt erst das Korsett, dann die Perücke ab und verlässt endgültig ihre Gesellschaft, die sie beschimpft, weil sie das ganze Theater nur für sie veranstaltet haben will.

 

Diese Entwicklung Dulcineas ist einer der Höhepunkte der Aufführung, vom Regisseur sehr genau und nachvollziehbar entwickelt und dargestellt. Dass die Spaßgesellschaft nicht locker läßt, zeigt er auch in der letzten, der Sterbeszene: sie lauert lüstern an den Rändern der Bühne, und ganz am Schluss haben die Liebhaber und der Räuberhauptmann sogar schon von Rosinante und dem Esel Besitz ergriffen. Menschen, die für ihre Ideale eintreten und sich nicht anpassen, haben es wirklich nicht leicht und müssen oft leiden, nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Leben.

 

Diese Geschichte wird vom Hagener Ensemble überzeugend umgesetzt. (Gut, dass sie eins haben und hoffentlich auch behalten!) Alle Rollen konnten mit Mitgliedern des eigenen Hauses besetzt werden. Orlando Mason ist mit seiner Länge von mehr als zwei Metern die ideale Besetzung für den „Ritter von der langen Gestalt“ und steigert sich auch im Einsatz seiner Stimmmittel von Akt zu Akt. Der in Hagen offenbar besonders beliebte Rainer Zaun fesselt nicht nur mit seiner Stimme, sondern erhält als Sancho Pansa für die vielen sicher ausgespielten komödiantischen Mittel großen Beifall. Kristine Larissa Funkhauser füllt nach ihrer grandiosen Carmen als Dulcinea wieder eine Paraderolle in jeder Hinsicht aus. Maria Klier, Veronika Haller, Kejia Xiong, Richard von Gemert als Liebhaber und Marylin Bennett als Räuberhauptmann mit tadellosem Französisch in einer Sprechrolle singen und spielen in bewährter Qualität. Von Gemert bewältigt seine etwas größere Rolle nicht nur sängerisch und darstellerisch souverän, sondern brilliert auch in einem Fechtkampf (Fechtmeisterin Saskia Leder) mit Don Quichotte, in dem er plötzlich ratlos mit drei Schwertern in den Händen dasteht, weil sein Gegner nach passenden Reimen sucht.

 

Der Chor (Leitung Wolfgang Müller-Salow), der die Spaßgesellschaft darstellt, singt genau und agiert dabei sehr intensiv im teilweise zweistöckigen Bühnenbild. Es ist eine Lust, dem Philharmonischen OrchesterHagen unter Florian Ludwig zuzuhören, das sehr präzise dem Handlungsverlauf folgt, mit der Regie eine Einheit bildet und vor allem im Bereich der Dynamik und Klangfarben eine ausgedehnte und differenzierte Spannweite zeigt.

 

Das Hagener Theater zeigt wieder einmal, dass gerade kleinere Bühnen mit funktionierenden Ensembles hervorragende Aufführungen zustande bringen. Massenets Oper wird in einer äußerst plausiblen Sichtweise auf die Bühne gebracht und hat keinen Grund, sich vor den Inszenierungen in Gelsenkirchen und Wuppertal zu verstecken. Und: Hagen liegt an der A1, das Theater ist leicht zu erreichen, und direkt gegenüber ist ein Parkhaus, das, wenn man im Theater die Parkkarte richtig in den Automaten steckt, vergleichsweise preiswert ist.

 

 Fritz Gerwinn

 

 

Weitere Aufführungen: 7., 11., 18., 23., 28. Mai, 1., 15., 22. Juni