Salome
Wuppertal 15.9.2024
Volles Haus in Wuppertal bei der ersten Premiere der neuen Saison. Und großer Beifall am Schluss für eine gelungene Vorstellung. Alle Beteiligten gaben ihr Bestes.
GMD Patrick Hahn hatte sein Orchester bestens vorbereitet. So kam der fast zweistündige Klangfluss der Straussschen Partitur extrem farbenreich aus dem Orchestergraben. Allein das Zuhören war schon ein Genuss, wurden doch die wechselnden, aber bei aller Variabilität doch immer wiederkehrenden Motive famos und differenziert ausgespielt. Besondere Sorgfalt gewidmet wird den bildhaften Passagen, wenn etwa vom Wind oder von Flügeln geredet wird. Die scharfen Gegensätze werden illustriert, die die ungeheuerlichen Vorgänge auf der Bühne beleuchten, kommentieren, verschärfen. Details wurden ausgekostet, trotz aller Exzessivität wurde die Balance gehalten. Hahn scheut auch klangliche Zuspitzungen nicht, übersteuert aber nicht und überdeckt niemals Sängerinnen und Sänger.
Auf dieser sicheren Basis konnten sich die Solisten total entfalten und vollkommen aus sich herausgehen, was sowohl ihren Gesang als auch ihre
Darstellung angeht. Helena Juntunen als Salome gestaltet ihre Rolle mit größter Eindringlichkeit und vielen unterschiedlichen Facetten. Darstellerisch sehr vielschichtig, macht sie auch mit ihrer
Stimme ihren psychischen Ausnahmezustand deutlich. Fantastisch, wie sie gegen Schluss kurzzeitig ihre Stimme verändert, bevor sie weiter ihre Ziele verfolgt. Das Tetrarchenpaar Herodes (Salomes
Stiefvater und scharf auf sie) und Herodias (Herodes abgelegte Frau und Salomes Mutter) wird scharf charakterisiert, gleich zu Beginn ihres Auftritts können sie nur streiten und sich angiften.
Matthias Wohlbrecht als Herodes fällt auf durch metallische Durchschlagskraft seiner Stimme, wenn er seine Herrscherattitüde herauskehrt, verfügt aber auch über anderer Stimmfarben, wenn er
Salome verführen will. Gundula Hintz als Herodias kann ihre volle Mezzostimme präzise einsetzen, ist als Sängerdarstellerin maximal intensiv. Michael Kupfer-Radecky als Jochanaan glänzt mit
mächtigem Bass sozusagen als religiöser Lautsprecher, macht das aber differenziert und nuancenreich.
Waren dies alles Gäste, so hatten auch Mitglieder des Wuppertaler Ensembles wichtige Aufgaben zu erfüllen. So wurde der Hauptmann Narraboth, der zuerst die Schönheit Salomes preist und sich
später umbringt, von Sangmin Jeon dargestellt. Und Edith Grossman gestaltet intensiv die Rolle des Pagen von Herodias, deren Rolle im weiteren Verlauf des Stücks aufgewertet wird. Die kleineren
Rollen (Juden, Nazarener, Soldaten) wurden von weiteren Mitgliedern des Ensembles zuverlässig bewältigt.
Das Ganze spielte sich in einem in Blau getauchtem Bühnenbild ab, das eng wirkte und kaum ein Entkommen zuließ. Auffällig waren die ausladenden
königlichen Kostüme von Herodias (gold) und Herodes (violett) (Bühne und Kostüme Britta Leonhardt).
Die Regisseurin Andrea Schwalbach entwickelte die Handlung auf der Bühne ziemlich schnörkellos, der Dramatik der Musik entsprechend, lässt oft zwei Handlungen gleichzeitig passieren und wagt am
Schluss eine eigenwillige Deutung.
Am Anfang sitzt Salome genau auf dem Loch, in dem Jochanaan gefangen gehalten wird, ihre Faszination für ihn wird also sofort deutlich. Jetzt schon hantiert sie mit einem Messer, das sie dann in
sein Gefängnis fallen lässt. Breit ausgespielt wird der Todeskampf Narraboths, der sich umbringt, weil Salome Jochanaan verführen will. Das gelingt aber nicht, und er stirbt langsam in den Armen
des Pagen von Herodias. Juden und Nazarener müssen lange am Rande der Bühne warten, bevor sie agieren dürfen, wirken dabei aber wie bestellt und nicht abgeholt. Der Schluss ist dann
bemerkenswert, dürfte für viele auch irritierend gewirkt haben. Der „Tanz der sieben Schleier“, in etlichen Inszenierungen als (angedeuteter) Striptease dargestellt, wird umgedeutet: der Page der
Herodias zieht Salome das goldenes königliches Gewand wie das ihrer Mutter an, in dem sie weitertanzt. Herodes genießt zuerst Salomes Tanz, sein Entsetzen wird aber danach immer größer. Salome
fordert für ihren Tanz Jochanaans Kopf. Der wird dann vom Pagen enthauptet, der sein Schwert in der Mitte der Bühne liegen lässt. Salome küsst Jochanaans Mund und wirft dann denn abgetrennten
Kopf achtlos wieder ins Loch. Der letzte Satz des Herodes „Man töte diese Weib!“ wird nicht befolgt. Stattdessen ergreift Salome das Schwert und will Herodes damit töten. Versuchte
Machtübernahme? Oder gibt es eine andere Erklärung?
Auch wenn einige Fragen zur Inszenierung offenbleiben: Eine ganz große Aufführung! Großer langanhaltender Jubel am Schluss. Und schon allein wegen des Orchesters und der Solisten sollte man sich diese Aufführung nicht entgehen lassen.
Fritz Gerwinn, 17.9.2024
Weitere Aufführungen: 21.9., 13.10.2024; 7.2., 14.2.2025