Tolle Revue mit Lokalkolorit und melancholischem Ende
Revue „Von Thalia geküsst“ im Wuppertaler Opernhaus
Premiere am 17.1.2025
Volles Haus, gespannte Erwartung in der Wuppertaler Oper. Viele Frauen im Publikum waren im Stil der zwanziger Jahre gekleidet: schwarzes Kleid, Fransen und Stirnband mit Pfauenfeder. Ein Herr
trug sogar Zylinder. Schon vor Beginn also eine begeisterte und empathische Stimmung. Spontaner Beifall für die Intendantin , Rebekah Rota, als sie die Bühne betrat. Leider musste sie nur
mitteilen, dass eine der Sängerinnen nur spielen und sprechen könne, aber nicht singen. Den Gesang würde eine andere Sängerin übernehmen, die die Noten am Vormittag bekommen hatte. Dann ging´s
los mit Franz von Suppés Ouvertüre zur „Schönen Galathée“, mit der auch das Thalia-Theater 1906 eröffnet wurde. Viel Beifall danach, den gab es auch nach jeder Nummer für die hochklassige
gelungene Umsetzung.
„Von Thalia geküsst“ heiße die angekündigte Revue. Aber wer hat sie geschrieben? Im Programmheft erfährt man es doch: Es war Laura Knoll, die Wuppertaler Operndramaturgin, die die Geschichte
zusammengestellt und die Dialoge formuliert hat. Und wer das Ganze dann in Szene gesetzt hat, erfährt man noch etwas später: die Wuppertaler Intendantin Rebekah Rota. Also ganz offensichtlich
eine intensive Zusammenarbeit, bei der sicherlich auch noch viele andere beteiligt waren. Ganz besonders hervorzuheben ist aber noch ein weiterer intensiv Beteiligter: der musikalische Leiter Jan
Michael Horstmann, der nicht nur dirigierte, sondern etliche Vorarbeiten zu erledigen hatte. Davon später mehr.
Die Autorin hatte im Ablauf der Revue mehrere Ebenen verbunden. Zum einen war die Geschichte des Theaters von 1929 bis 1933 gut zu verfolgen. Theaterdirektor Robert Riemer hatte das
heruntergewirtschaftete Theater übernommen, renoviert und neu eröffnet. Trotz großer finanzieller Schwierigkeiten führte er es zu großem Erfolg: bei zwei Aufführungen pro Tag waren die 2000
Plätze fast immer voll besetzt. Sein Motto: man muss das Geld aus dem Fenster werfen, dann kommt es zur Tür wieder herein. 1933 wurde er als Jude aber gezwungen, das Theater aufzugeben, und den
noch acht Jahre laufenden Pachtvertrag zu kündigen. Tragisches Ende, nachdem der Erfolg sich endlich eingestellt hatte.
Seine Erfolgsidee war die Verbindung von Varieté und Film. Hier kommt nun Thalia ins Spiel, die Muse der Komödie, die leibhaftig vom Olymp herabsteigt und ihm diese Idee eingibt. Sie ist zur
Chorsängerin Thali geworden, tritt immer wieder auf und steuert das Geschehen. Sie muss aber wieder verschwinden, als die Nazis auftauchen.
Entsprechend werden auch Szenen nachgestellt, in denen zwei der damals bekannten und beliebten Solisten auftraten, einmal der Tenor Walter Zierau, zum anderen die Sängerin Vera Schwarz. Das wird
mit einer Geschichte verbunden, in der zwei Paare auftreten und sich näherkommen. Luise Funke verliebt sich in den WZ-Reporter Peter Herzenbruch, ihr im Chor singender Bruder Felix in die
Chorsängerin Thali, in die Muse also.
Schließlich nimmt das Wuppertaler Lokalkolorit einen großen Raum ein. So wird z.B. der häufige Regen von verschiedenen Seiten beleuchtet, u.a. in einer Gesangs- und Tanznummer mit mindestens
dreißig Regenschirmen. Natürlich kommt auch die Schwebebahn ins Bild.
Das alles wird zum Vergnügen des Publikums wirksam und gut nachvollziehbar dargestellt.
Dabei spielt der Chor (Ulrich Zippelius) eine wichtige Rolle. Und natürlich muss auch ein Ballett dabei sein, dessen Choreograph Edison Vigil auch bei der Inszenierung als Co-Regisseur
mitarbeitete. Die Inszenierung war auch deshalb spannend und farbenreich, weil diese beiden Gruppen immer wieder auch bei den Solonummern auftraten, so dass auf der Bühne oft gleichzeitig mehrere
Dinge passierten. Das alles spielte sich ab in einem Bühnenbild (Sabine Lindner) mit variablen Elementen vor einer Kulisse mit einem wundervollen Jugendstil-Bogenfenster, von hinten beleuchtet,
so dass man das Gefühl hatte, mitten im Thalia-Theater zu sitzen.
Nun zur Musik: Sagenhafte 23 Musiknummern wurden gespielt, Auszüge aus Operetten und Revuen und etliche Schlager aus der Zeit des großen Thalia-Erfolges. In einigen der Operettenlieder ließ man
die Stars der damaligen Zeit wiederaufleben, so etwa in „Ich knüpfte manche zarte Bande“ von Carl Millöcker und „Lippen schweigen“ von Franz Léhar. Hier glänzten Sangmin Jeon als gefeierter Tenor
Walter Zierau und Margaux de Valensart als Vera Schwarz. Die war in der Premiere stimmlich indisponiert, sprach und agierte aber vorzüglich. Ihren Part sang aus dem Off die erst am selben Tag
engagierte Rinnat Moriah. Aber auch die anderen Personen konnten neben ihren Sprechpassagen auch ihre Sangeskünste voll ausspielen. Oliver Weidinger als Theaterdirektor und Vera Egorova als seine
wegen des Theaters zeitweise vernachlässigte Ehefrau, die vergeblich im Regen auf ihren Mann wartet, Elia Cohen-Weissert und Zachary Wilson als Geschwisterpaar Luise und Felix Funke, Merlin
Wagner als WZ-Redakteur und natürlich Edith Grossmann mit voluminösem Mezzo als Thalia und Thali mit rasanten Kostümwechseln. Viele der gesungenen Lieder hatten Ralph Benatzky und Mischa
Spoliansky komponiert, aber auch Lieder von Eduard Künneke, Leo Fall und sogar Johann Strauss wurden hinreißend und temporeich gesungen und getanzt.
Höhepunkt war allerdings ein genau passender Schlager: „Mädel, fahr mit mir Schwebebahn“ von Schenkel/Hiddessen. Während dieses Liedes ließ die Regie mit schelmischem Augenzwinkern tatsächlich
oben auf der Bühne vor dem erleuchteten Bogenfenster eine kleine Schwebebahn fahren, von Barmen nach Elberfeld und wieder zurück. In diesem Lied offenbarte sich auch die Arrangierkunst des
Dirigenten Jan Michael Horstmann. Der hatte nicht nur dieses Lied für das gut gelaunt aufspielende Orchester eingerichtet. Einerseits hatte er die Schmissigkeit des Liedes betont, aber durch
interessante Instrumentation und vor allem genaue und überraschende Lautstärkewechsel äußerst differenziert gearbeitet. In der Mitte hatte er sogar einen nicht unkomplizierten mehrstimmigen
Chorsatz platziert. Dem hörte das Publikum mit Vergnügen zu, klatschte auch nicht mit, durfte dann aber den letzten Refrain selber singen, aufgefordert von – naja, wem schon? – Thalia natürlich.
Horstmanns Vorbereitung ist sehr zu loben, musste er doch viele der Stücke für das Orchester arrangieren und einige erst aufschreiben, weil es keine Noten dafür mehr gab.
Anderthalb Stunden mitreißende, begeisternde Revue ließen die große Zeit des Thalia-Theaters wiederaufleben. Dabei schürfte sie an einigen Stellen auch tiefer, so z.B. am Anfang durch die „Hymne
an die Kunst“, auch bei der Eröffnung 1929 gesungen, die die Wichtigkeit von Theater und Kultur beschwor. Dass das Stück doch melancholisch und tragisch endete, liegt an der Geschichte. Die
Kulturdestruktion der Nazis lässt sich nun einmal nicht revueartig darstellen. Und das Ende dieser Revue ist auch eine Aufforderung, das aktuelle Kulturprogramm einer rechten Partei in den Blick
zu nehmen, die Parallelen zu damals zu entdecken und etwas dagegen zu tun.
Fritz Gerwinn, 20.1.2025
Weitere Vorstellungen: 8.2., 16.2., 1.3., 15.3., 18.5., 6.6., 14.6., 27.6.,13.7.2025